19. Januar 2011

Maurice Scéve

L’oeil, aultrefois ma joyeuse lumiere,
En ta beaultè fut tellement deceu ,
Que de fontaine estendu en ryviere,
Veut reparer le mal pqr luy conceu,
Car telle ardeur le coer en à receu,
Que le corps vif est jà reduict en cendre :
Dont l’oeil piteux fait ses ruisseaulx descendre
Pour la garder d’estre du vent raive,
Affin que moyste aux os se puisse prendre,
Pour sembler corps, ou umbre de sa vie.


Das Auge, meine Freude einst und Helle,
ward so getäuscht durch deiner Schönheit Macht,
Daß es zum Strome werden ließ die Quelle,
Das Leid zu heilen, das er mir gebracht.
Im Herzen ward ja so viel Glut entfacht,
Daß lebend schon der Leib zu Asche ward.
Mitfühlend drum das Aug´ nicht Tränen spart,
Damit im Winde nicht der Staub hintreibe,
Der feucht sich leicht mit den Gebeinen paart,
Daß noch ein Schein von Leib und Leben bleibe.


Scève geboren 1510 in Lyon, gestorben gegen 1562 in Lyon, gehört neben Louize Labè zum Lyoner Gelehrten- und Dichterkreis, der damals in einem literarischen Wettstreit mit Paris stand. Auf diesen Kreis wirkte sich der Einfluß von Platos Philosophie und der Formenwelt der italienischen Renaissance befruchtend aus. Der Symbolismus am Ende des 19. Jahrhundert entdeckte seine Verwandtschaft mit der Kunst Scèves. In seiner Lyrik ist die Syntax recht eigenwillig behandelt; Klang und Rhythmus werden, unabhängig vom Sinngehalt des Wortes wichtige Faktoren der dichterischen Aussage.

Texte nach: Maurice Scève; Dèlie, Object de plus haulte Vertu, E. Parturier, 1916 (Société français modernes)

3. Januar 2011

Castor et Pollux im Theater an der Wien


Kartenvorverkauf

Diese große Oper wird von mir natürlich besucht und für euch in einer Kritik näher beschrieben. Ich bin, dank der tollen Komposition von Ramaeu, sehr zuversichtlich, daß uns eine großartige Aufführung zu Gehör gebracht wird. Leider müssen wir uns noch zwei Wochen gedulden.

Jean-Philippe Rameau war bereits fünfzig Jahre alt, als er 1733 mit seiner ersten Oper Hippolyte et Aricie über Nacht berühmt wurde. „Mein Gott, in dieser Oper steckt genug Musik, um zehn daraus zu machen; der Mann wird uns alle auslöschen“, urteilte sein Komponistenkollege André Campra über Hippolyte et Aricie. Die französische Oper hatte seit Jean-Baptiste Lullys Tod 1687 keine neuen Impulse mehr erhalten, Rameau weckte sie aus ihrem Dornröschenschlaf. Er blieb zwar – ähnlich wie Lully – bei den antiken Sujets, füllte sie aber mit den Idealen und Themen der Aufklärung: Castor et Pollux verherrlicht die selbstlose Freundschaft und Bruderliebe der berühmten Zwillinge.

Handlung:
Télaïre soll Pollux heiraten, in Wahrheit aber liebt sie dessen Zwillingsbruder Castor, und auch er liebt sie. Als Pollux die tiefe Zuneigung der beiden realisiert, verzichtet er zugunsten seines Bruders auf Télaïre. Das folgende Liebesfest wird jäh gestört durch einen Angriff, den die eifersüchtige Phébé, Télaïres Schwester, angestachelt hat. Castor wird getötet. Castor und Pollux sind Söhne der Leda, haben aber verschiedene Väter: Pollux ist der Sohn des Jupiter und deshalb unsterblich. Er steigt in die Unterwelt hinab, um den Bruder für sein Volk, die Spartaner, und für Télaïre zurückzuholen. Castor darf aber nur leben, wenn Pollux seinen Platz in der Unterwelt einnimmt. Für einen Tag nur akzeptiert Castor das Opfer des Bruders, er will noch einmal Télaïre sehen, um Abschied zu nehmen. Von dieser treuen brüderlichen Liebe ist Jupiter so gerührt, dass er schließlich auch Castor das ewige Leben verleiht, und die Brüder gemeinsam in den Himmel entrückt – als Sternbild der Zwillinge.

Die Liebe besiegt den Tod – ein ewiger Traum der Menschheit. Er wird hier nicht von einem Liebespaar erfahren, sondern von zwei Brüdern in einer sehr speziellen Patchworkfamilie voller heikler Gefühlsverstrickungen. Rameaus Oper ist emotional und dramatisch von großer Dichte. Sie schildert Sehnsucht und Verzweiflung besonders ergreifend in Rameaus vielleicht berühmtester Arie „Tristes apprêts“ (Trauriger Schmuck) und selig jubelnde Unsterblichkeit in der Abschlussarie des Werkes.

Text und Bild - Theater an der Wien